Donnerstag, 10. Mai 2018

Leserbrief einer Festhaltetherapie-Befürworterin

Die Ludwigsburger Kreiszeitung druckte in ihrer Ausgabe vom 9. Mai 2018 einen Leserbrief einer Befürworterin der Festhaltetherapie ab. Diese nahm Bezug auf den Artikel "Es geht mir nicht um Mitleid" vom 28. April. So sieht die Argumentation von Befürworter*innen auch im Jahr 2018 noch aus:

"Über den Bericht habe ich mich in mehrfacher Hinsicht gewundert. Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit habe ich die Festhaltetherapie in ganz unterschiedlichen Erfahrungsfeldern kennengelernt. Ich habe mich daher intensiv mit dem therapeutischen Ansatz von Jirina Prekop auseinandergesetzt. Ausgangspunkt der Therapie sind Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind, die auf verschiedenste Ursachen zurückgehen können, etwa, wenn das Kind behindert ist und auf die elterlichen Zuwendungen nicht adäquat reagieren kann oder wenn das Kind nicht erwünscht war oder wenn es die Erwartungen der Eltern nicht erfüllt. Der Wiederaufbau einer vertrauensvollen Eltern-Kind-Beziehung durch liebevolles Festhalten ist das Ziel der Beratungen. In keinem Fall geht es um die Ausübung elterlicher Gewalt, um „wilde, aufmüpfige Jungs in den Griff zu bekommen“ oder deren Willen zu brechen, wie Oliver Kube dies in dem Bericht darstellt.
Ich will sein persönliches Erleben nicht infrage stellen, seinen Anspruch, Sinnvolles zur Festhaltetherapie zum Besten zu geben, allerdings schon. Der Titel seines Buches „Festhaltetherapie. Dein Wille breche“ lässt ebenfalls keine sachliche Beschäftigung mit dem Thema erhoffen. Eine derart dramatische und tendenziöse Titelfindung ist dem Ansinnen von Jirina Prekop völlig unangemessen. Nun steht es Oliver Kube frei, sich von seinen schlechten frühkindlichen Erfahrungen mittels autobiografischer Methoden zu befreien. Allerdings frage ich mich, wohin sein Blick gerichtet ist: nach hinten in die Vergangenheit oder nach vorne in die Zukunft? Angesichts der Tatsache, dass Oliver Kube im Gemeinderat sitzt, würde ich mir Letzteres wünschen. Und ich hoffe, dass Herrn Kubes Statements bei der Ausübung seines Mandats etwas differenzierter ausfallen als in seinen Aussagen zur Festhaltetherapie."
Jutta Schmid, Ludwigsburg



Interessant ist, dass jeder einzelne ihrer Kritikpunkte bereits durch das E-Book widerlegt wird. Dennoch möchte ich ihre Aussagen nicht unkommentiert lassen.

"Über den Bericht habe ich mich in mehrfacher Hinsicht gewundert. Im Rahmen meiner beruflichen
Tätigkeit habe ich die Festhaltetherapie in ganz unterschiedlichen Erfahrungsfeldern kennengelernt. Ich habe mich daher intensiv mit dem therapeutischen Ansatz von Jirina Prekop auseinandergesetzt."


Tatsächlich ist sie mit ihrer Verwunderung nicht alleine: Die Psychologin, die meinen Eltern die Festhaltetherapie empfohlen hatte, fiel völlig aus den Wolken, als ich sie damit konfrontierte. Sie hatte die Prekop-Propaganda oberflächlich geschluckt und ohne jede kritische Prüfung weiterempfohlen. Sie bekam nach eigener Aussage von Eltern immer positive Rückmeldungen. Auf die Idee, die Kinder danach zu fragen, wie sie die Festhaltetherapie finden, kam sie nicht. Auch viele Eltern glauben ernsthaft - bzw. lassen sich einreden - ihren Kindern damit etwas gutes zu tun. Ich wundere mich über die Verwunderung darüber, dass Kinder es nicht toll finden, mit derartigen Methoden zugerichtet zu werden.

"Ausgangspunkt der Therapie sind Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind, die auf verschiedenste Ursachen zurückgehen können, etwa, wenn das Kind behindert ist und auf die elterlichen Zuwendungen nicht adäquat reagieren kann oder wenn das Kind nicht erwünscht war oder wenn es die Erwartungen der Eltern nicht erfüllt."

In anderen Worten: Wenn das Kind nicht spurt, so wie die Eltern wollen - etwa aufgrund einer Behinderung oder aus anderen Gründen - dann wird es mit Gewalt zugerichtet.

"Der Wiederaufbau einer vertrauensvollen Eltern-Kind-Beziehung durch liebevolles Festhalten ist das Ziel der Beratungen."

Gewaltsames Festhalten bis zur Selbstaufgabe des Kindes bewirkt das genaue Gegenteil: Die maßlose Grenzüberschreitung zerstört das Vertrauen des Kindes in die Eltern zuverlässig. Ohne die beiden Formen der Misshandlung gleichzusetzen: Die Festhaltetherapie als "liebevolles Festhalten" zu bezeichnen ist ähnlich absurd, wie wenn man eine Vergewaltigung als "Liebe machen" betiteln würde.

"In keinem Fall geht es um die Ausübung elterlicher Gewalt, um „wilde, aufmüpfige Jungs in den
Griff zu bekommen“ oder deren Willen zu brechen, wie Oliver Kube dies in dem Bericht darstellt."


Jirina Prekop selbst gesteht ein, dass der Eindruck entstehen kann, dass der Wille eines Kindes, das sich nach Kräften wehrt, gebrochen werden könne (Prekop, 2008, S. 105). Um die Gewalt weiterhin zu leugnen, verneint sie schlichtweg den Willen des Kindes selbst: Wenn das Kind sich wehrt, dann ist das gar nicht sein Wille, sondern ein Fluchtinstinkt (Prekop, 2008, S. 237). Das dürfe man nicht verwechseln. Es sei ein großer Irrtum, „aus dem Widerstand des Kindes auf sein eindeutiges Verlangen nach Loslassen zu schließen“ (Prekop, 1989, S.135). In Wirklichkeit sei es nämlich genau andersherum: „Das Kind erhofft sich mehr Widerstand“ (ebd.). Wie praktisch: Je mehr sich das Kind wehrt, desto stärker sei sein Wunsch, weiter festgehalten zu werden. Nein heißt ja, wenn es nach Prekop geht.


"Ich will sein persönliches Erleben nicht infrage stellen, seinen Anspruch, Sinnvolles zur Festhaltetherapie zum Besten zu geben, allerdings schon."

Das weiß Jutta Schmid natürlich, ohne das E-Book gelesen zu haben. Vielleicht hat ihr das "wissende Feld" (Bert Hellinger) was geflüstert.

"Der Titel seines Buches „Festhaltetherapie. Dein Wille breche“ lässt ebenfalls keine sachliche Beschäftigung mit dem Thema erhoffen. Eine derart dramatische und tendenziöse Titelfindung ist dem Ansinnen von Jirina Prekop völlig unangemessen."

Jirina Prekops Ansinnen war (und ist?), die Festhaltetherapie zu verbreiten, sie als "Lebensform" in der Gesellschaft zu etablieren und damit Geld zu verdienen. Diesem Ansinnen entspricht der Titel tatsächlich nicht. Die pseudo-therapeutischen und ideologischen Ansätze Prekops kritisiere ich in Kapitel 2 anhand ihrer Veröffentlichungen. Andere Betroffene der Festhaltetherapie fanden den Titel sehr treffend.

"Allerdings frage ich mich, wohin sein Blick gerichtet ist: nach hinten in die Vergangenheit oder nach vorne in die Zukunft?"

Im LKZ-Artikel steht: "(...) Als er erfahren hat, dass die Festhaltetherapie immer noch praktiziert wird, hat er sich dazu entschlossen, mit dieser sehr persönlichen Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. „Es geht mir nicht um Mitleid“, so Kube. Sein Ziel sei es, den Wahnsinn zu stoppen. (...) "
Wirklich schwer zu beantworten, ob das Ziel, zukünftiges vergleichbares Leiden von Kindern zu verhindern, sich auf die Vergangenheit oder die Zukunft bezieht.
 
 "Und ich hoffe, dass Herrn Kubes Statements bei der Ausübung seines Mandats etwas differenzierter ausfallen als in seinen Aussagen zur Festhaltetherapie."

Niemals! Ich erzähle im Gemeinderat ausschließlich undifferenzierte Geschichten aus meiner Kindheit.