Samstag, 10. März 2018

Familienworkshop mit Festhaltetherapie in Sachsen

Vom 9. bis 11. März und vom 25. bis 27. Mai findet im Landkreis Meißen (in der Nähe von Dresden) jeweils ein „Workshop für Familien und Paare“ mit Familienaufstellen nach Hellinger und „Besik-Halten“ in Anlehnung an die Festhaltetherapie nach Prekop statt. Geleitet wird das Wochenendseminar von den nach Prekop ausgebildeten Festhaltetherapeuten Uwe Reißig und Ralf Lemke.

Über den Ablauf des Seminars ist auf dem Internetauftritt des Jirina Prekop Zentrums (jipz)und auf der Homepage von Reißig wenig zu finden. Reißig verschweigt sogar den Ort der Veranstaltungen und schreibt nur von einem „Seminarhaus in Sachsen“. Auf der jipz-Seite ist die Ortschaft Krögis für den März-Termin genannt und Schloss Schleinitz als Veranstaltungsort für den Workshop im Mai. Über das Besik-Konzept ist zu lesen, dass es nicht mehr das „klassische“ Festhalten oder das „klassische“ Familienstellen sei. Beim Besik-Halten gehe es laut Uwe Reißig insbesondere um die Frage: „Wie kommen Kinder zu glücklichen Eltern?“ Die Bedürfnisse der Eltern sind also denen der Kinder vorangestellt. Wie auch schon bei Prekop heißt es, Konflikte und Bedürfnisse „von Herz zu Herz und Bauch zu Bauch und Galle zu Galle“ ausgetragen werden, auf „dass die Liebe fließt“. Genaueres – etwa was der grundlegende Unterschied zur „klassischen“ Kindesmisshandlung nach Prekop sein soll, ist nicht in Erfahrung zu bringen.

Maricka Sommerfeldt hat sich 2012 als Teilnehmerin in ein solches Seminar eingeschleust - ihr Bericht ist im Sammelband „Festhaltetherpaien - Ein Plädoyer gegen umstrittene Therapieverfahren“ (Ute Benz, 2013) enthalten. Anke Shaw und Maximilian Schlemmer unterstützten Lemke und Reißig, außerdem assistierten einige „Schüler*innen“, die gerade die Ausbildung zum*zur Festhaltetherapeut*in machten. Anke Shaw ist Ergotherapeutin, Festhaltetherapeutin nach Prekop sowie Familienaufstellerin und arbeitet bei der Diakoniestiftung Weimar Bad Lobenstein. Maximilian Schlemmer ist Heilpraktiker, Festhaltetherapeut nach Prekop und Mitbegründer des „Zhab e.V.“, das insbesondere im Raum München die Festhaltetherapie propagiert. Schlemmer arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis in Erlangen. Auf deren Website verwendet er den schwammigen und verharmlosenden Begriff „Bindungstherapie“.

Sommerfeld berichtet, wie gleich zu Beginn Rituale eingeführt werden. So singen Erwachsene und Kinder immer dasselbe Lied, wenn die Kinder verabschiedet werden, bevor die Erwachsenen unter sich reden. Therapeut*innen und Teilnehmer*innen spielen alberne Rumlauf- und Anfass-Spielchen, die den Gruppenzusammenhalt stärken sollen. Gleichzeitig gewöhnen sich die Teilnehmer*innen auf diese Weise daran, den Anweisungen der Therapeut*innen blind zu folgen. In einem Vortrag über die Familienaufstellung erklärt Uwe Reißig den Erwachsenen die angeblich „natürliche“ oder „göttliche“ Familienhierarchie: Ganz oben steht der Vater, dann kommt die Mutter. Die Eltern stehen über den Kindern, wobei das Erstgeborene grundsätzlich Vorrang vor dem Zweitgeborenen hat. Die patriarchale Ordnung ist auch bei Prekop (2008) vorzufinden: Beim Paarhalten habe grundsätzlich der Mann oben zu liegen. Wenn die Frau das Bedürfnis habe, oben zu liegen, dann sei die Ehe oder Beziehung zerrüttet. Ausnahmen sind nur gestattet, wenn der Mann pflegebedürftig ist. Gleichgeschlechtliche Beziehungen kommen in der Welt von Prekop, Reißig und Co. offenbar gar nicht vor.

Herkunft und Abstammung sind bei der Familienaufstellung enorm wichtig: Reißig erzählt, dass der Vater die Herkunft der Kinder bestimme. Wenn beispielsweise die Mutter aus Sachsen und der Vater aus Franken sei, dann sei die Tochter Fränkin. So gesellt sich völkische Blut-und-Boden-Ideologie zur patriarchalen Familienhierarchie. Laut einem Artikel auf seinem Internetautritt sieht Reißig „in Europa das Matriarchat, also die Frauenherrschaft, im Vormarsch (..).“ Er zeigt sich zudem begeistert von Bert Hellingers Bemühungen, die Opfer des Holocaust mit den Täter*innen auszusöhnen. Dazu schreibt Reißig wörtlich: „Aussöhnung ist nur möglich, wenn beide Seiten aufeinander zu gehen und in Achtung vor der Schwere des Schicksals auf die Täter und die Opfer schauen, ohne zu „Ur-teil(en)“, sich einfach im Herzen verneigen und es bei Ihnen lassen, mit allem, was dort geschah.“ (sic!)

Zurück zum Familienworkshop: Das Festhalten findet in getrennten Räumen hinter verschlossenen Türen statt. Sommerfeldt kann also nicht sicher sagen, was genau mit den anwesenden Kindern gemacht wurde und was nicht. Konkrete Tipps bezüglich ihres (frei erfundenen) ständig aggressiven Enkelsohn erhält sie nicht. Als sie Schlemmer auf die Festhaltetherapie nach Prekop anspricht, spricht dieser zwar von „Weiterentwicklungen“ und gesteht sogar ein, dass man „durchaus etwas an den früheren Prekop’schen Methoden kritisieren und einige ihrer Begründungen ablehnen“ könne. Was genau seine Kritik an den früheren Methoden ist und was sich nun geändert hat, erfährt man auch hier nicht. Insgesamt wird an dem Konzept festgehalten. Zu beachten ist auch, dass das großzügige Zugeständnis, man „könne kritisieren“, weder eine eigenständige Kritik, geschweige denn eine Distanzierung darstellt. Schlemmer wirft Sommerfeldt vor, sie sei zu sehr auf das Denken fixiert, man müsse an Familienaufstellen und Festhalten einfach glauben und solle nicht alles infrage stellen. An der Realitätsverleugnung hat sich nichts geändert: Reißig freut sich zu Beginn der Abschiedsrunde darüber, „nur in strahlende Gesichter“ zu schauen, während fast alle Teilnehmer*innen kaputt und fertig sind und einige verzweifelt schluchzen – ein Elternpaar hat sich an dem Wochenende getrennt.

Es wird stark für Folgeseminare geworben: Familienaufstellen, Festhalten, Bonding-Therapie. Was die angeblichen oder tatsächlichen Veränderungen betrifft, kann festgehalten werden: Während früher das Festhalten bei Kindern praktisch als eine Art „Gruppen-Gewaltorgie“ (siehe „Festhaltetherapie: Dein Wille breche“) vorgenommen wurde, findet heute alles hinter verschlossenen Türen und ohne Zeug*innen statt. Der Grund für die Gruppenvariante war laut Prekop, dass es für die Eltern leichter sei, die Festhaltetherapie an ihren Kindern durchzuführen, wenn auch andere Kinder laut und verzweifelt schreien. Man sei jedoch davon abgekommen, weil es bei der Lautstärke kaum möglich sei, Eltern und Kindern Anweisungen zu geben und zu verstehen, was sie sagen. Durch die Rituale, die zumindest auf Sommerfeldt übergriffig wirkenden Anfass-Spiele und den menschenverachtenden, frauenfeindlichen Esoterik-Humbug werden die Eltern auf’s Gehorchen getrimmt und gleichzeitig kritische Teilnehmer*innen davon abgeschreckt, ein Folgeseminar zu buchen. Was genau an besagtem - oder am aktuellen - Wochenende hinter verschlossenen Türen geschah, lässt sich natürlich nicht hundertprozentig sagen. Die Berufung auf Jirina Prekop, die Abschottung vor Zeug*innen und die ausweichenden Antworten auf Fragen lassen jedoch nichts Gutes vermuten. Wie die Festhaltetherapie unter Anleitung von Prekop persönlich aussieht, kann sich auf YouTube anschauen, wer die Bilder aushält: STOP Jirina Prekopova Attachment Therapy - part 1.Vorsicht: Der Clip beginnt mit einem ohrenbetäubenden, verzweifelten Schrei eines Kindes.